Jörg-Dieter Bischke-Pergande, Hamburg Reisebericht Kenia Kakamega
Afrika, der Angst einflößende Kontinent. In der deutschen Berichterstattung dominieren Gewalt, Korruption, Krankheit und Armut… Unsere Verwandten und Freunde reagieren überwiegend mit Besorgnis, als die Abreise ansteht: Das traut ihr euch wirklich? Was wird uns also erwarten, meine Tochter Deborah und mich, wenn wir uns auf den Weg machen, um uns vor Ort in Kakamega anzuschauen, was wir bislang nur aus den Erzählungen von Bernadine und Sybilla kennen.
Der erste Eindruck: Nairobi, unwirtlich und hässlich. Doch schon das Kolping-Guest-House am Stadtrand überrascht angenehm: eine gepflegte Anlage mit freundlicher Betreuung und annehmbaren Zimmern. Von wegen unzumutbare Hygienestandards! Das Wasser aus der Leitung fließt, Toilettenspülung und Dusche funktionieren, wenn das Wasser bisweilen auch kalt bleibt. Und Strom ist so eine Sache, mal da, mal nicht, mal wieder da…
Und dann der Weg von Nairobi nach Kakamega im Nordwesten durch ein erstaunlich grünes Land. Wir fahren durch Tee- und Kaffeeplantagen, erreichen dabei eine Gipfelhöhe von erstaunlichen 2800 Metern. Der Blick hinunter in den afrikanischen Graben ist atemberaubend! Unangenehm nur der Aufenthalt im Hof einer kenianischen Polizeiwache, da unser Fahrer zu schnell unterwegs war und vor dem Schnellrichter auf seine Strafe warten musste. Nach eineinhalb Stunden war aber auch das ausgestanden und die Fahrt konnte fortgesetzt werden.
Dann der herzliche Empfang im Haus von Bischof Julius, eine Hütte, abgelegen mitten im inzwischen nächtlich dunklen Wald, nur über eine staubige Piste zu erreichen. An die Straßen mit ihren krassen Unebenheiten, so dass die Autos immer wieder krachend aufsetzen, müssen wir uns in den folgenden Tagen erst noch gewöhnen! Der Empfang dort wie später im Waisenhaus ist von ungewohnter Herzlichkeit. Leute, die man zum allerersten Mal sieht, nehmen einen in den Arm, drücken und herzen einen, begeistert darüber, dass wir den langen Weg von Europa in den Norden Kenias auf uns genommen haben, trotz der schlechten Nachrichtenlage mit dominierenden Berichten über Überfälle der Al-Shabad-Milizen aus dem benachbarten Somalia und trotz Ebola. Ich versuche es in den Gesprächen später deutlich zu machen: In der deutschen Mentalität dominiere wohl der Verstand, in Kenia das Herz! Schnell schließen wir Freundschaft mit Julius, Posh, Evans, Vivian und all den anderen, die uns betreuen und bekochen, uns an ihrem Leben teilhaben lassen, bei unseren Ausflügen durch Stadt und Land begleiten, jeden Morgen mit dem Auto in unserer Unterkunft abholen, einem Bildungszentrum der Diözese Kakamega etwa fünf Kilometer außerhalb, und zu Bernadines Haus oder den Kindern ins Waisenhaus bringen.
Der Empfang dort toppt alles. Schnell verlieren die Kinder ihre anfängliche Scheu, gleich mehrere hängen an uns, sobald wird das Gelände, eingebettet in die zum Fluss hin abfallende grüne tropische Landschaft, betreten haben. Die Verteilung der mitgebrachten Kuscheltiere und Klamotten wird zu einem Event, dass ich so schnell nicht vergessen werde. Deborah mit ihren 25 Jahren, den langen blonden Haaren und ihrer offenen, zugewandten Art wird schnell zum Star von Kakamega, da kann auch ich mit meiner Kamera und der begehrten Aussicht auf Schnappschüsse nicht mehr mithalten.
Doch dann dominieren die zu erledigenden Aufgaben, derentwegen wir gekommen sind: Sind die Moskitonetze noch heil? Müssen neue Matratzen besorgt werden? Wie sehen die Kleiderspinde aus? Reicht die Kücheneinrichtung aus, um den Hunger der 56 Kinder zu stopfen? Müssen Töpfe, Reinigungsmittel, Lebensmittel eingekauft werden? Und, und, und….
Ein ähnliches Bild in Bernadines Haus. Der Strom der Besucher lässt nicht nach, fast alle haben ein Anliegen, das mit Bernadines Hilfe geklärt werden soll. Selbstverständlich werden die Besucher/innen zum Essen eingeladen, was insbesondere für die immer hungrigen Nachbarskinder erfreulich ist. Verwirrend ist für mich, dass das Grundstück von einer Mauer umgeben ist und in einem Wachhäuschen neben dem Tor nachts zwei Wächter aufpassen, was allerdings in Kenia bei fast allen bebauten Grundstücken, Wohnanlagen, Hotels und sonstigen Unterkünften der Fall ist. Ist es wirklich so gefährlich, sobald es dunkel wird? Ist die Sorge um unsere Sicherheit, ohne Begleitung dürfen wir gar nicht erst los, nicht übertrieben? Redet das Land, dessen Nachrichten eine reine Kriminalberichterstattung sind, die Gewalt so nicht eher herbei? Wir haben uns jedenfalls keinen Augenblick in Gefahr gefühlt und können das über die Medien vermittelte Gefühl der allgemeinen Unsicherheit so nicht bestätigen!
Am Ende unseres Aufenthalts, als Deborah und ich etwas früher als Bernadine und Sybilla zum Besuch von Massai Mara, einem der größten Naturparks in Kenia aufbrechen, steigt eine bewegende Abschiedsparty. Poshs Schwester hat extra für meine Tochter und mich landestypische Kleider genäht, die wir selbstverständlich gleich überziehen. Die Kinder im Waisenhaus verabschieden uns singend und tanzend, so dass wir uns unserer Tränen nicht schämen. Für Deborah und mich wird in dem Moment klar: Wir kommen wieder und versuchen in der Zwischenzeit mit unseren Möglichkeiten beizutragen, dass es den Kindern im Waisenhaus in Kakamega weiter gut geht!